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DeFEM – Determinanten freiheitsentziehender Maßnahmen

Das Projekt

Unfreiwillige Unterbringungen und weitere freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) sollten in der Behandlung von Menschen mit psychischen Störungen aus medizinischer und gesellschaftlich-ethischer Sicht äußerst restriktiv und nur als Ultima Ratio eingesetzt werden. Bei der Verfolgung dieses Ziels ist es wichtig, Prädiktoren für Patient*innengruppen und Konstellationen zu identifizieren, die mit einem hohen Risiko für FEM assoziiert sind, um daraus gezielt Präventionsmaßnahmen zu entwickeln.

In dem Projekt DeFEM erfolgte eine detaillierte retrospektive Auswertung der Krankenakten aller 1.773 Patient*innen, die im Jahr 2011 in den vier psychiatrischen Kliniken der Stadt Köln unfreiwillig), untergebracht wurden. Als Vergleichsgruppe diente eine Zufallsstichprobe von 3.991 freiwillig behandelten Patient*innen aus den vier Kliniken. Aus den insgesamt 5.764 Akten wurden medizinische, soziodemographische und sozioökonomische Daten exzerpiert. Neben der deskriptiven Statistik wurde ein Prädiktionsmodell mittels Chisquared Automatic Interaction Detection (CHAID), ein im Maschinenlernen gängiger Entscheidungsbaum, kalkuliert.

Mittels der CHAID konnten folgende Risikogruppen für psychiatrische Zwangseinweisungen unter der Rechtsgrundlage des PsychKG (Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten NRW) identifiziert werden:
PsychKG-Patienten waren älter, häufiger berentet und hatten häufiger einen Migrationshintergrund. Die CHAID-Analyse bestätigte die Hauptdiagnose als stärksten Prädiktor für eine Zwangseinweisung. Ebenso bestätigt wurde Migrationshintergrund, hinzu kamen fehlende ambulante Vorbehandlung, Vorstellung außer¬halb der regulä¬ren Dienstzeiten und verheiratet/verwitwet als weitere Risikofaktoren. Be¬sondere Risiko¬gruppen waren Verheiratete/Verwitwete mit organischen psychischen Stö¬rungen (F0) und Menschen mit psychotischen Störungen oder Intelligenzminderung und Migrationshintergrund (Schmitz-Buhl et al. 2019).

Zwei weitere Arbeiten bauten auf der beschriebenen Analysetechnik des Maschinenlernens auf: Bei der Analyse von Karasch et al. (2020) wurde der Datensatz zusätzlich durch Hinzufügen von sozioökonomischen Daten aus dem Wohnumfeld der Patient*innen erweitert.

Im Vergleich zu unserer vorherigen Analyse wurde die Modellpassung verbessert. Hauptdiagnosen einer organischen psychischen oder einer psychotischen Störung (ICD-10: F0 und F2), suizidales Verhalten bei Aufnahme, Aufnahme außerhalb der regulären Arbeitszeiten und fehlende ambulante Behandlung vor Aufnahme bestätigten sich als stärkste Prädiktoren für eine unfreiwillige Behandlung. Besonders hohe Risiken zeigten sich für (1) Patienten mit einer organischen psychischen Störung (F0), insbesondere wenn sie im Ruhestand waren, außerhalb der regulären Arbeitszeiten aufgenommen wurden und in betreutem Wohnen lebten, (2) Patienten mit suizidalen Neigungen bei Aufnahme, die nicht unter einer Affektiven Störung litten, insbesondere wenn unklar war, ob vorangegangene Suizidversuche stattgefunden haben, oder wenn die betroffene Person in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit lebte, und (3) Patienten mit Psychose (F2), insbesondere solche, die in dicht bebauten Gebieten mit einem hohen Anteil an Einpersonenhaushalten lebten.

Schließlich analysierten Peters et al. (2022) mögliche Unterschiede bei den Prädiktoren für eine unfreiwillige psychiatrische Behandlung, je nachdem, ob der stationäre Aufenthalt von der Aufnahme an unfreiwillig war oder sich im Laufe der stationären Behandlung von freiwillig zu unfreiwillig änderte. Es ließen sich keine wesentlichen Unterschiede identifizieren, so dass die zwei Gruppen von Patient*innen am ehesten gemeinsam betrachtet werden können.

Literatur:

Schmitz-Buhl, M., Gairing, S. K., Rietz, C., Häussermann, P., Zielasek, J., & Gouzoulis-Mayfrank, E. (2019). A retrospec-tive analysis of determinants of involuntary psychiatric in-patient treatment. BMC Psychiatry, 19(127). doi:10.1186/s12888-019-2096-5

Karasch O, Schmitz-Buhl M, Mennicken R, Zielasek J, Gouzoulis-Mayfrank E (2020). Identification of risk factors for involuntary psychiatric hospitalization: Using environmental socioeconomic data and methods of machine learning to improve prediction. BMC Psychiatry 20 (1): 401. doi.org/10.1186/s12888-020-02803-w

Peters, S.J., Schmitz-Buhl, M., Karasch, O., Zielasek, J. & Gouzoulis-Mayfrank, E. (2022). Determinants of compulsory hospitalisation at admission and in the course of inpatient treatment in people with mental disorders-a ret-rospective analysis of health records of the four psychiatric hospitals of the city of Cologne. BMC Psychiatry 22 (1):471. doi.org/10.1186/s12888-022-04107-7

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